Bei Marcel Proust ist es ein Keks, die berühmte Madeleine, der die Erinnerung in Gang setzt. Bei der chinesischen Autorin Xiaolu Guo ist es ein Aal, gesalzen, getrocknet, ausgesprochen schmackhaft. Coral bekommt den Fisch eines Tages in einem großen Paket in ihre Pekinger Hochhauswohnung geschickt. Seine Herkunft: die Stadt der Steine, in der Coral als Kind bei den Großeltern aufgewachsen ist, Absender unbekannt. Stück für Stück verspeist die junge Frau mit ihrem Freund Red den Fisch, und Szene für Szene wird ihre Kindheit am Meer wieder lebendig: die Großeltern, die nicht miteinander sprechen; "der Stumme", der Coral eines Tages gefangen nimmt und vergewaltigt; ihr eigener Spitzname "Kleiner Hund", der ihr eigentlich Glück bringen sollte. Erst als sie mit Red noch einmal für ein paar Tage in die Stadt der Steine zurückfährt, kann Coral den Ort endgültig hinter sich lassen. Xiaolu Guos Roman ist von einer ungewöhnlichen Intensität und Poesie. Der Suggestion seiner düsteren, fast archaischen Bilder entkommt man als Leser kaum - ebenso wenig wie Coral und Red dem würzig-strengen Aalgeruch in ihrer Wohnung.
© 2004 - 2006 Xiaolu Guo |
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