"Ufo in her Eyes" im Kino

Wie der Sozialismus auf Außerirdische reagiert

von  Anke Sterneborgt, Süddeutsche Zeitung, 27. April 2012

"Ufo in her Eyes", ein Film von Xiaolu Guo, zeigt Udo Kier als abgestürztes Alien. Oder vielleicht nur als Amerikaner mitten in der chinesischen Provinz. Mit Luxushotels und Golfplätzen versucht die sozialistische Regierung, aus der Sensation Kapital zu schlagen.

Man kennt das aus dem amerikanischen Kino: Irgendwo in der Wüste wird ein unbekanntes Flugobjekt gesichtet, und alsbald strömen Menschenmassen auf das eben noch einsame Gelände, Reporter tragen die Kunde in die Welt, Schaulustige schlagen ihre Zelte auf, Geschäftstüchtige errichten Imbissbuden und Souvenirstände, Prediger verkünden wahlweise den nahenden Weltuntergang oder die Erlösung aus dem All.Ihre Gesellschaftssatire »UFO in her eyes«, die am Donnerstag in deutschen Kinos anläuft, zeigt, wie der Kapitalismus ein chinesisches Provinznest und seine Bewohner überrollt. Haben Ausbeutung und Entfremdung, die Sie in Ihrem Film zeigen, wirklich mit dem China von heute zu tun?

Die chinesische Schriftstellerin und Filmregisseurin Xiaolu Guo spielt so ein Szenario nun in der südchinesischen Provinz durch - und deutet dabei auch das Spiel der Einbildungskräfte an, das bei solchen außerirdischen Erscheinungen wirksam sein könnte. "Ein Ufo, dachte sie" ist der deutsche Titel des zugrundeliegenden Romans, und dieses Ufo könnte für sie, die unverheiratete Bäuerin Kwok Yun, womöglich nur ein Hirngespinst sein, Ausdruck ihrer Sehnsucht nach Veränderung und Folge eines Schwindelanfalls nach einem heimlichen Schäferstündchen am Rande eines Reisfeldes.

Als Yun aus ihrer Ohnmacht erwacht, findet sie neben sich im Gras einen Amerikaner im weißen Anzug, der von Udo Kier gespielt wird und ihr tatsächlich wie ein Außerirdischer vorkommen muss. Pflichtschuldig meldet sie ihr Erlebnis bei den offiziellen Behörden und setzt damit eine überwältigende Maschinerie in Gang. Unvermittelt wird das abgeschiedene Bergdorf aus dem Dornröschenschlaf gerissen. Während die Regierungsbehörden den Vorfall mit sozialistischer Gründlichkeit erforschen, als gehe es darum Regimekritiker auszukundschaften, holt das Dorf im Zeitraffer die letzten sechzig Jahre nach, in denen China zur globalen Wirtschaftsmacht aufgestiegen ist.

Aus der Reibung zwischen den Gesetzen der freien Marktwirtschaft und den Regeln des kommunistischen Systems schlägt der Film absurde Funken. Während die Bagger anrücken, um Luxushotels und Golfplätze aus den Reisfeldern zu stampfen, instrumentalisieren die Regierungsfunktionäre die Ufo-Sichtung nach bewährtem Muster für Propagandazwecke.

Unerbittliche Realität und versponnene Phantasie sind die widersprüchlichen Kräfte im Schaffen von Xiaolu Guo. Mit scharfer Beobachtungsgabe und anarchistischer Spiellust bringt sie in ihren Romanen, Dokumentationen und Spielfilmen die Verhältnisse zum Tanzen. Sechs Jahre im Londoner Exil haben den Blick auf ihre Heimat spürbar geschärft und zugleich entspannt. So werden die Demonstrationen der Landbevölkerung in "Ufo in her Eyes" zwar so brutal niedergeschlagen, wie man das aus den Nachrichten kennt, doch hinter den harten Kanten der Politsatire öffnen sich immer neue märchenhafte Schlupflöcher.

Zunächst bleibt die arme Analphabetin Kwok Yun Spielball der rasanten Entwicklung: Ihrem heimlichen Liebhaber wird großzügig die Scheidung gewährt und die Neuvermählung zum zukunftsstiftenden Staatsakt stilisiert, doch die vermeintliche Freiheit verkommt dabei zum staatlich verordneten Zwang. Nur in der Ferne lockt das Glück in der Gestalt eines versponnenen Wanderarbeiters, der in der atemraubenden Schönheit der Landschaft die Flucht in einem wundersamen Schwimmobjekt vorbereitet. Den chinesischen Behörden war das alles zu frech, in ihrer Heimat fiel Xiaolu Guos Film der Zensur zum Opfer. Die Suche des Einzelnen nach dem Glück geht weiter.

 

 

 

Originalartikel

 

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